Bilder des Nordens nach Mankell
„Ungefähre Landschaft“ – Der Polarkreis in Nordnorwegen
Jammerbugten
„Kaltblau“ – Zufluss zur Nordsee in der Jammerbucht
Seit den Kriminalromanen Henning Mankells, die ab 1991 publiziert wurden, hat sich das populäre ‚Bild des Nordens‘ von dem einer „präkapitalistischen Idylle“ (Barbara Gentikow), wie es in Carl Larssons Interieurs, Astrid Lindgrens Bullerbü– und Saltkrokan-Romanen und noch den ökophilosophisch inspirierten Abenteurer-Almanachen bis Ende der 1980er-Jahre (z.B. Jörg Trobitzsch) ausgeprägt war, fundamental verändert. Wenngleich diese gegenwärtigen Entwürfe sehr von David Lynchs amerikanischer TV-Serie Twin Peaks beeinflusst sind, da hier das Narrativ vom verbrecherischen Abgrund am Rand der naturnahen Idylle präfiguriert wurde, hat sich in der Folge mit „Nordic Noir“ ein literarisches und filmisches Genre konstituiert, das den Norden als Raum der Einsamkeit, der Tristesse, der Melancholie, des „Ungefähren“ (Peter Stamm) und des ‚Grauen(s)‘ (also der Grenztilgung – zwischen Tag und Nacht, Norm und Abweichung – vgl. Erik Skjoldbjærgs INSOMNIA, Norwegen 1997) bzw. der extremen Naturerfahrung (auch im Sinne der Offenbarung unbewusster ‚Abgründe‘ im Selbst) und daher auch bevorzugt als ‚Tatort‘ – des Schauplatzes von Verbrechen – in einer Grenzzone der Zivilisation inszeniert. Die Post-Bullerbü-Romane und -Filme der letzten Jahre aus und über Skandinavien wie Kerstin Ekmans Geschehnisse am Wasser (Schweden 1993) und Kjell Sundvalls JÄGARNA (Schweden 1996), Serien wie DIE BRÜCKE oder JORDSKOTT – DIE RACHE DES WALDES (2015) sind mehr oder weniger postmoderne Dekonstruktionen exotistischer Bilder des Nordens und einer ‚Heimeligkeit‘, wie sie Sibylle Berg in dem dystopischen Roman Ende gut (2004) karikiert: „Der liebe Norden: Der kleine Strickmützenträger unter den Ländergruppen der Welt. Vernünftige Regierungen, so hohe Steuern, dass alle mittelgenug zum Leben haben, viele Frauen in wichtigen Ämtern, Natur haufenweise – nur die Menschen saufen und sind depressiv. Da fällt einem dann auch nichts mehr ein“. Die hier ausgewählten skandinavischen Reisefotografien sind damit auch Ergebnis einer negativen Selektion, die dem Gegenwartstrend folgt, indem sie die Repräsentation der Idylle aussparen (diese naivere Sicht bewahre ich privat!): Sie verstehen sich im Dialog mit den literarischen und filmischen Konstruktionen der letzen Jahre: Bilder eines melancholischen, unheimlichen Nordens, Bilder, die sich zeigten nach Lektüren, Zeichen, die auf Zeichen verweisen. Die Serie Nordic Noir spielt mit diesem ästhetisch-postmodernen Paradigma der Selbstreferenz, während Jammerbugten dokumentarisch-realitätsreferentiell norddänische Lebens- und Ferienwelten out of Season im Sinne eines poetischen Realismus porträtiert.
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Literatur: Martin Nies, Der Norden und das Fremde, Kiel: Ludwig 2008.